Forschung für den Kleiderschrank
Ökomode für den breiten Markt
Erschienen in natur 07/2018
Viele Menschen wollen nachhaltige Kleidung, doch zu wenige kaufen sie auch. Wissenschaftler fragen nach dem Warum und entwickeln kreative Lösungen auf Designerebene mit denen der Umstieg Spaß macht.
Horst Cebulla trägt ein weißes, knitterfreies Baumwollhemd. „Es liegt auf der Haut wie ein Hauch von Nichts“, sagt er. Der Nachteil: Beim Anbau der Baumwolle werden große Mengen Pestizide eingesetzt, die die Umwelt belasten. Der Professor für Textilmaschinen- und Verfahrensentwicklung an der Technischen Universität Chemnitz erforscht nachhaltige Bekleidung. Und er weiß genau, wie schwer es ist, im Textilbereich ein reines Gewissen zu haben. Seine Hosen und Pullover trägt er in der Regel viele Jahre lang und hilft somit, Ressourcen zu sparen, die für die Fertigung neuer Kleidung benötigt werden. Wenn er Oberhemden kauft, wählt er allerdings kein umweltfreundliches Label, sondern entscheidet sich für eher hochpreisige Ware bekannter Marken: „Mein Hemd kostet 50 Euro. Das ist recht viel“, sagt er. „Ein nachhaltig produziertes Hemd aus Biobaumwolle oder -flachs, die ohne den Einsatz von Chemikalien wachsen, würde schneller knittern, aber trotzdem müsste ich mindestens 80 Euro dafür bezahlen. Der Vorteil der Nachhaltigkeit wiegt da nicht schwer genug“, gibt der Forscher zu.
Der Mehrheit der Bundesbürger geht es ähnlich wie Horst Cebulla: Sie finden Ökokleidung prinzipiell zwar gut, wie Silke Kleinhückelkotten vom Ecolog-Institut in Hannover im Rahmen des Projekts Slow Fashion herausgefunden hat, aber kaufen sie nicht. Der Marktanteil fair und umweltfreundlich produzierter Hosen, Röcke und T-Shirts, die mit dem internationalen GOTS-Label (Global Organic Textile Standard) zertifiziert sind, ist mit 0,05 Prozent verschwindend klein.
„Auch wenn es eine Vielzahl weiterer Siegel und Labels gibt, ist nachhaltige Kleidung ein absolutes Nischensegment“, sagt Silke Kleinhückelkotten. Tatsächlich stammen nach Angaben des Umweltbundesamts 90 Prozent aller Blusen, Beinkleider und Bikinis, die in Deutschland erhältlich sind, aus dem nichteuropäischen Ausland, meist aus China, der Türkei und Bangladesch. Dort sind die Umwelt- und Sozialstandards viel geringer als in der EU.
Silke Kleinhückelkotten kennt auch die Gründe, weshalb selbst Kundinnen und Kunden, die die ökologischen und sozialen Bedingungen bei der Kleiderproduktion kritisieren, nicht konsequent zu nachhaltigen Hosen und Hemden greifen: „Kleidung wird oftmals spontan gekauft, beim Bummel durch die Stadt. Doch nur in wenigen Städten gibt es auf nachhaltig produzierte Mode spezialisierte Geschäfte mit einer breiten Produktvielfalt. In konventionellen Handelsgeschäften fehlen solche Angebote sogar fast völlig“, sagt die Forscherin. „Wer auf nachhaltige Kleidung umstellen will, muss spezielle Anbieter ausfindig machen, längere Anfahrtszeiten in Kauf nehmen oder ungewohnte Einkaufsumgebungen aufsuchen.“ Vor diesem Mehraufwand schrecken viele Konsumenten zurück. Hinzu kommt, dass die Vielzahl von Etikettierungen die Verbraucher verwirrt: 80 Prozent der Befragten geben an, nicht zu wissen, woran sie nachhaltige Kleidung erkennen. Während beispielsweise GOTS und das Label bluesign entlang der gesamten Wertschöpfungskette – vom Feld bis zum Kleiderbügel – umwelt- und sozialverträgliche Bedingungen garantieren, steht das OEKO-TEX-Siegel nur dafür, dass die Kleidung auf Schadstoffe geprüft wurde. Ein weiterer Grund für den geringen Absatz von Ökokleidung: Wie für Horst Cebulla ist für mehr als drei Viertel der Studienteilnehmer Nachhaltigkeit oft nur ein Kaufkriterium unter vielen: „Kleidung soll vor allem bequem, praktisch und zweckmäßig sowie gut verarbeitet sein“, sagt Silke Kleinhückelkotten. „Außerdem muss das Preis-Leistungsverhältnis stimmen.“
Ein Label mit Angaben zur Haltbarkeit
Wie es gelingen kann, dass mehr Verbraucherinnen und Verbraucher nachhaltige Kleidung kaufen, hat Horst Cebulla am Beispiel Socken erforscht. Dabei setzt er auf eine längere Haltbarkeit, ein besseres Preis-Leistungsverhältnis und ein einheitliches Pflichtlabel. „Zunächst bat ich meine Mitarbeiter, ihre kaputten Socken ins Institut mitzubringen“, erzählt er. Ein kritischer Blick auf die Strümpfe bestätigte die allgemeine Wahrnehmung: Besonders an den Zehen, dem Ballen und den Fersen, also an den Stellen, an denen der Stoff am stärksten mit Schuh oder Boden in Berührung kommt, entstehen Löcher. „Die Lösung lag auf der Hand: Wir verstärkten die Socken an den empfindlichen Stellen“, berichtet der Wissenschaftler. Anschließend testete sein Team die Scheuerbeständigkeit mit der Martindale-Methode, einem in Forschung und Industrie gebräuchlichen Verfahren, um die Belastbarkeit von textilen Stoffen zu ermitteln. Dabei wird eine natürliche Abnutzung der Strümpfe simuliert, indem sie mit einer vorgegebenen Gewichtsbelastung gegen einen wollenen Standardstoff gerieben werden. Das Ergebnis von Cebulla und seinen Mitarbeitern: Die verstärkten Socken halten doppelt bis dreifach solange wie die herkömmlichen Varianten und sind somit umweltfreundlich. Denn je länger die Lebensdauer der Socke, desto weniger Baumwolle wird benötigt oder Erdöl, das in der Regel für die Produktion von Kunstfasern eingesetzt wird. Außerdem wird an Energie und Wasser gespart. Obendrein fällt weniger Müll an. „Ein Paar unserer Socken müsste im Verkauf anstatt beispielsweise 5 Euro 5,50 Euro kosten, weil bei der Fertigung etwas mehr Material eingesetzt wird“, meint Horst Cebulla. „Ein Preis, den der Kunde wohl bereit ist zu zahlen, wenn ihm vermittelt wird, wie lange die Socken halten.“
Für mehr Transparenz sollte der Handel ein Pflichtlabel einführen, empfiehlt der Forscher. Anstatt den Anbau oder die Herstellung zu bewerten, sollte diese Etikettierung den Kundinnen und Kunden Auskunft darüber geben, ob die Ware lange hält oder nicht. „Früher stand Markenware für Qualität“, sagt Cebulla, „doch diese Gleichung geht heute nicht mehr auf“. Ein Label nach seinen Vorstellungen könnte dieses Manko kompensieren. „Wenn dem Verbraucher deutlich wird, dass Ökokleidung einen direkten Nutzen hat, nämlich auf lange Sicht günstiger ist, wird er sie bevorzugt kaufen“, so Cebulla. Er empfiehlt zudem, dass die Bekleidungsfirmen auf einen Teil ihrer hohen Gewinnmargen verzichten, um in die Qualität ihrer Hosen, Röcke und Mäntel zu investieren. Um die Unternehmer dazu zu motivieren, könnte der Staat die Steuern auf nachhaltige Kleidung senken.
Ökodesign mit dem der Umstieg Spaß macht
Martina Glomb ist Professorin des Studiengangs Modedesign und beteiligt sich zusammen mit Studierenden an der Hochschule Hannover ebenfalls am Forschungsprojekt Slow Fashion. Die Akademikerin ist vorbildlich gekleidet: Sie trägt eine Strickjacke aus den Resten alter Männerpullover und eine Raw-Denim Jeans, also eine Hose, die während der Herstellung nicht gewaschen wird. Das ist umweltfreundlich, da sich so der Wasserverbrauch reduziert. Obendrein sind ihre Schuhe handgemacht und durch häufigen Gebrauch recht abgewetzt. Glomb war zehn Jahre lang Designerin, zum Schluss Chefdesignerin bei der englischen Modemacherin Vivienne Westwood, bevor sie sich entschloss, Ökomode zu erforschen. Dabei nimmt sie die Rolle des Designers und der Designerin ins Visier. Damit Kleidung allgemein nachhaltiger wird, sollten Modemacher zum einen bei ihren Entwürfen eine umweltfreundliche Fertigung einplanen und zum anderen darauf achten, dass die Kleidung vielen Menschen gefällt, rät sie. Glomb wünscht sich, dass insbesondere die Designer der Bekleidungsketten bei ihren Entwürfen eine umweltschonende Fertigung einplanen. Denn klar ist: Wenn Ökohosen und -röcke zum gängigen Angebot großer Modehäuser gehören, werden sie auch von einer großen Anzahl von Kunden gekauft.
Zero-Waste-Schnitte
Wie Mode aussehen kann, die umweltfreundlich gefertigt wird und den Geschmack vieler Verbraucherinnen und Verbraucher trifft, zeigt Sarah Kuba, die in Hannover einen Master-Studiengang in Design und Medien absolviert, indem sie zeitlos wirkende Kleidung entwirft, bei deren Zuschnitt keine Stoffreste anfallen, denn die stellen ein riesiges Umweltproblem dar:
„Rund 20 Prozent eines Stoffs landen durchschnittlich im Müll“, sagt Sarah Kuba, denn die meisten Reste können nicht weiter verwertet werden, weil sie zu klein sind oder ihre Form zu unregelmäßig ist oder weil es sich für die Unternehmen finanziell nicht lohnt. „Alternativen haben Modedesigner wie Holly McQuillan und Timo Rissanen entwickelt“, sagt die 27-Jährige. Doch deren Hosen und Kleider sind nichts für den breiten Markt: „Um Reste zu vermeiden, schneiden sie zwar keinen Stoff weg, aber drapieren und rüschen viel.“ Eine andere gängige Lösung, bei der kein Verschnitt anfällt, besteht darin, sich in Tücher zu kleiden, denn auch dabei wird die ganze Stoffbahn verwendet. Ein Schlitz für den Kopf, und fertig ist der Poncho oder die Kutte – allerdings ist das auch keine Kleidung, die die Mehrzahl der Menschen täglich anziehen möchte. Anders die Zero-Waste-Kollektion vonSarah Kuba: Ein Bleistiftrock, ein schlichter Blazer und ein geradliniger Mantel. „Ich habe sehr experimentell gearbeitet, aber mittlerweile allgemeingültige Konstruktionen gefunden, die sich auf jede Stoffbreite gradieren lassen“, sagt sie.
Kreislauffähige Kollektion
Eine weitere Idee, die Designer umsetzen können, damit Mode nachhaltiger wird, liefert die Bachelor-Studentin Claudia Bump. Recyceln statt Wegschmeißen lautet ihr Motto. Bisher sind die meisten alten Fummel nicht kreislauffähig: „Baumwolljeans beispielsweise werden mit einem Polyesterfaden verarbeitet“, erläutert Holger Cebulla. „Die Materialien lassen sich nicht voneinander trennen. Die recycelte Baumwolle enthält also eine Fremdfaser, die sich nach dem Färben als andersfarbige Stelle bemerkbar macht. Der Modemarkt fragt solche Stoffe nicht nach.“ Einstige Lieblingspullis und -hosen enden so in vielen Fällen als Putzlappen oder Dämmaterial für Autos. Doch Bump zeigt, wie Kleidung verarbeitet sein muss, damit aus einem alten Kleid ein neues werden kann. In der Slow-Fashion Werkstatt in Hannover drapiert sie auf einer Schaufensterpuppe ein weißes Baumwollkleid mit stabilen Trägerbändern, die durch Ösen gezogen sind. Daneben auf einem Bügel ein Top aus Seide ohne Nähte. Vorder- und Rückseite werden durch kleine Magneten zusammengehalten, die Bump aus Verpackungen mit Tabak zum Selbstdrehen von Zigaretten recycelt hat. Insbersondere die Träger des Kleides können kundenfreundlich einfach und schnell erneuert werden, aufwändige Reparaturen sind nicht notwendig. Außerdem lassen sich die verschiedenen Materialien von Kleid und Top leicht voneinander trennen und somit separat recyceln. Die Ware ist kreislauffähig.
Nahezu revolutionär geht Kommilitonin Lisa Rammelkamp vor: Sie backt T-Shirts. „Seit Menschengedenken fertigen wir Kleidung, indem wir ein zweidimensionales Stoff- oder Fellstück in etwas Dreidimensionales verwandeln“, sagt die Designerin, „doch diese Art der Herstellung verursacht meist Umweltprobleme“, wie zum Beispiel große Abfallberge aus Textilien. Warum also nicht eine neue Produktionsweise entwickeln, die per se umweltfreundlicher ist? Beim Backen von Kleidung müssen keine Reste weggeschnitten werden, ausserdem lässt sich die Faser, die Rammelkamp verwendet, wieder einschmelzen, um erneut zu Kleidung verarbeitet zu werden. Die junge Designerin baut zunächst einen Metallrahmen in T- Form, umwickelt diesen mit einer Kunststofffaser und schiebt das ganze schließlich in einen Backofen. Nach zwanzig Minuten bei 170 Grad schneidet sie das fertig gebackene Kunstfaserteil an den Armen, am Hals und am Saum auf und löst es vom Rahmen. Das Ergebnis ist ein flauschiges T-Shirt. Es wirkt jedoch sehr fragil. „Man kann es tragen, es fällt auch beim An- und Ausziehen nicht auseinander“, sagt sie, „doch ich müsste die Wickeltechnik verbessern, damit das T-Shirt lange hält.“ Und nicht nur das, gibt Rammelkamp zu bedenken: Damit ihr T-Shirt vollkommen umweltfreundlich ist, müsste sie eine Faser verwenden, die nicht aus Erdöl hergestellt ist, sondern aus Ressourcen, die nachwachsen. „Prinzipiell ist die Entwicklung umweltfreundlicher Kunstfasern erstrebenswert“, sagt Horst Cebulla. „Denn wenn die gesamte Menschheit Biobaumwolle oder -flachs tragen sollte, bräuchten wir für den Anbau mehrere Erden.“
Forschung für mehr Tragekomfort bei Ökohemden
Damit die “bessere” Mode ihre Nische verlässt und von vielen Menschen getragen wird, muss sie auch bequem sein, darf nicht kratzen oder schwer auf den Schultern liegen. So erlebt Leinen heute ein Comeback. In der hiesigen Textilbranche gilt es als nachhaltige Ressource, allerdings hat es sich bisher auch aufgrund des weniger angenehmen Tragecomforts nicht durchgesetzt. Noch im späten 19. Jahrhundert wurde hauptsächlich die Leinenpflanze, auch unter dem Namen Flachs bekannt, zu Bekleidung verarbeitet. Das Gewächs gedeiht auch gut in unseren Breiten. Außerdem ist Leinen reiß- und scheuerfest sowie schmutzabweisend. „Baumwollhemden sind aber viel angenehmer auf der Haut und sitzen besser“, sagt Cebulla. „Am Tragekomfort macht sich der jahrzehntelange Forschungsvorsprung bemerkbar.“ Wenn die Wissenschaft so weit sein wird und hauchdünnes Leinen hervorbringt, das lange hält, wird auch er auf Ökohemden umsteigen.
Designer und Forscherinnen können also viel dazu beitragen, damit die Kunden ihren Wunsch, sich nachhaltiger zu kleiden, zukünftig auch erfüllen. Doch was können die Verbraucherinnen und Verbraucher heute schon tun, um umweltverträgliche Hosen, Röcke und Pullover zu tragen? „Sie müssen bereit sein, den Mehraufwand, der oft mit dem Erwerb von Ökokleidung einhergeht, zu leisten“, sagt Silke Kleinhückelkotten. In manchen deutschen Städten haben es die Konsumenten allerdings schon recht leicht. „In Berlin sprießen mittelständische Betriebe, die nachhaltige Mode herstellen und vertreiben, wie Pilze aus dem Boden“, hat Horst Cebulla beobachtet. „In Manufakturen mit handwerklicher Ausrichtung gelingt die Herstellung von qualitätiv hochwertigen Kleidungsstücken besonders gut – eine wichtige Voraussetzung, um die Lebensdauer eines Hemds oder Rocks zu erhöhen“, sagt Martina Glomb. Und wie bei den Socken von Horst Cebulla ein gutes Argument, um dafür auch einen höheren Preis zu zahlen. Es steht fest: Der Markt für Ökokleidung, die ein breites Publikum anspricht wächst. Doch bis auf Weiteres liegt es noch an jedem Einzelnen, bei der Kleiderwahl die richtige Entscheidung zu treffen.