Wenn es Mäuse und Würmer regnet

Manche munkelten von geheimen Waffentests. Andere sogar vom drohenden Weltuntergang. Jedenfalls ging Anfang dieses Jahres Panik um, als binnen weniger Wochen von verschiedenen Orten der USA und aus Schweden berichtet wurde, wie ganze Vogelschwärme tot vom Himmel fielen. Im amerikanischen Yankton, South Dakota, waren an die 300 Stare mitten in der Stadt in den Schnee auf Straßen und Bürgersteigen gestürzt. In Beebe, Arkansas, lagen sogar rund 5000 Rotschulterstärlinge auf dem Boden, und von der gleichen Spezies 500 Exemplare an einem Highway in Louisiana. In Schweden wurden gut 100 tote Dohlen auf einer Straße in Falköping gefunden.

 

Einzig der Fall in South Dakota konnte geklärt werden: Mitarbeiter des US-Landwirtschaftsministeriums gaben an, an einer Futterstelle zehn Meilen südlich Gift ausgelegt zu haben, um sich einer Starenplage zu entledigen: Die Vögel hätten dem Nutzvieh das Futter weggefressen und mit ihrem Kot alles verdreckt. Offenbar habe eine Gruppe der Stare es noch bis nach Yankton geschafft.

 

Aber die anderen Fälle? Bis heute offen. Und das Mysterium kurioser Regenfälle geht noch viel weiter: Bei Vögeln mag es ja irgendwie plausibel erscheinen, dass sie vom Himmel fallen können. Aber wenn man den hunderten Berichten in historischen Chroniken, wissenschaftlichen Fachblättern und Zeitungen glauben darf, regnen noch ganz andere Tiere aus den Wolken – und dazu viele weitere unglaubliche Dinge.

 

Schon die alten Griechen und Römer erwähnten das Phänomen in ihren Schriften. Und im Jahr 1555 widmete der schwedische Gelehrte Olaus Magnus ihm ein Kapitel seines Buches „Historia de gentibus septentrionalibus“. Es trug den Titel: „Über Regenfälle von Fischen, Fröschen, Mäusen, Würmern und Steinen“. Der deutsche Enzyklopädist Conrad Wolffhart, besser bekannt als Lycosthenes, beschrieb 1557 neben Fischregen auch einen mysteriösen Schauer von Kreuzen, der 1503 in Deutschland niedergegangen sein soll.

 

Auch moderne, zuverlässige Quellen berichten von Tierregen. Zum Beispiel die Fachzeitschrift „Das Wetter“ von Muscheln am 9. August 1892 in Paderborn. Eine merkwürdig gelbe Wolke habe die ungewöhnliche Fracht plötzlich mit großem Getöse entladen. Laut dem Wissenschaftsmagazin „Scientific American“ soll am 15. Januar 1877 in Memphis, Tennessee, ein Schauer aus Schlangen niedergegangen sein. Die altehrwürdige „New York Times“ erwähnte im gleichen Jahr ein knappes Dutzend junge, lebendige Alligatoren, die auf eine Farm in South Carolina geprasselt waren – zehn Kilometer vom nächsten Flusslauf entfernt.

 

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen: Würmer, Aale, Quallen, Krebse, Eidechsen, Mäuse, Ratten, Fledermäuse – einen ganzen Zoo von Tieren hat es bei verschiedenen Gelegenheiten schon geregnet. Durchaus auch in jüngerer Zeit: So goss es zum Beispiel im Juni 1997 kleine Schildkröten im mexikanischen Städtchen Villa Angel Flores und Anfang Juni 2005 im serbischen Odzaci Frösche. In der Region Yoro in Honduras regnet es sogar regelmäßig Fische: Jedes Jahr zwischen Mai und Juli, wenn es heftig gewittert, fallen sie in rauen Mengen, die Menschen sammeln sie ein, kochen und essen sie. Seit 1998 feiert man auch ein entsprechendes Fest: das „Festival de la Lluvia de Peces“, das „Fischregen-Fest“.

 

Mal waren die Tiere nach dem Sturz noch lebendig, mal aber sichtlich schon vorher umgekommen: Tiefgefroren, von Eis umhüllt oder zerfetzt in einzelne Körperteile schlugen sie auf. So berichtete das US-Fachmagazin „Monthly Weather Review“ 1882 von einem Hagelschauer, bei dem in mehreren großen Körnern kleine Frösche eingeschlossen waren, und 1894 von einem, bei dem sogar eine 20 Zentimeter lange Gopher-Schildkröte im Eismantel vom Himmel fiel. Im Januar 1959 regnete es in St. Mary’s City im US-Staat Maryland einen Schwarm Enten, von denen viele offenbar schon in der Luft durch eine unbändige Kraft zerrissen worden waren. Ähnliches geschah am 17. August 1941 auf einem Tabakfeld in Lebanon, Tennessee: Dort waren es nur noch undefinierbare Fleischfetzen, die neben blutrotem Regen auf die Erde klatschten.

 

Was zudem verwundert: Meist fallen nur Tiere einer einzigen Art und Größe vom Himmel, und manchmal schlagen sie linienförmig auf oder begrenzt auf wenige hundert Quadratmeter. Und es geht auch ganz ohne Tiere: Dann rieselt es Nägel, Nüsse oder kiloweise Samenkörner wie am 12. Februar 1979 im englischen Southampton.

 

Dass solche merkwürdigen Regenfälle vorkommen, ist inzwischen unbestritten. Und für viele gibt es sogar eine Erklärung: Tornados. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts schlug der französische Physiker André-Marie Ampère, nach dem die Einheit für Stromstärke benannt wurde, starke Winde als Ursache vor. Neuere Erkenntnisse über die Kraft der Wirbelwinde haben ihn bestätigt: „Tornados können durchaus Tiere und andere Dinge vom Himmel regnen lassen“, sagt Dr. Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst. „Sie wirbeln ja sogar Kühe, Lastwagen, Eisenbahnwagons und Segelboote durch die Gegend, manchmal kilometerweit. Wenn ein Tornado über ein Gewässer fegt, saugt er in seinem Rüssel das oberflächennahe Wasser bis etwa einen Meter Tiefe auf – inklusive allem, was darin schwimmt. Diese Dinge werden durch starke Aufwinde hochgerissen und am oberen Ende des Rüssels herausgeschleudert, um wieder zu Boden zu fallen.“

 

Bis zu 500 km/h Drehgeschwindigkeit erreicht ein Tornado. Der Aufwind innerhalb dieses Derwischs ist so stark, dass alles abhebt, was nicht felsenfest verankert ist. „Dabei können Tiere auch in Stücke gerissen werden“ sagt Dr. Nicolai Dotzek, Tornadoexperte am Institut für die Physik der Atmosphäre beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. „Die umherwirbelnden Trümmer wirken wie Sandstrahler und machen aus allem Kleinholz.“

 

Dieses landet dann womöglich recht weit entfernt. Laut dem Center for Multi-Scale Modeling of Atmospheric Processes an der Colorado State University in den USA sind bis zu 160 Kilometer weite Transporte denkbar. Das erklärt beispielsweise, warum am 4. Juli 1995 in Keokuk, Iowa, leere Getränkdosen vom Himmel regneten. Ein Tornado hatte sie 150 Kilometer weiter südlich bei einer Abfüllanlage aufgesaugt.

 

Dass Tiere oft als Eisbrocken landen, überrascht Nicolai Dotzek nicht: „Am oberen Ende eines Tornados können leicht um die Null Grad herrschen, und dann gefriert das Wasser an den Oberflächen schnell zu Eis – je länger der Aufwind ein Objekt in der Luft hält, desto dicker wird die Schicht.“ Auch die Tatsache, dass oft nur eine Art und Gewichtsklasse von Tieren zu finden ist, erscheint Dotzek logisch: „Der Aufwind dröselt sie auseinander wie in einer Zentrifuge. Auch Hagel und Regentropfen werden auf diese Weise sortiert. Darum fallen dicke Körner und Tropfen immer zuerst.“ Die örtliche Begrenzung mancher Regenfälle könne mit einer besonderen inneren Struktur der Gewitterwolke zusammenhängen, meint der Meteorologe.

 

Das erklärt einiges. Doch beileibe nicht alles, findet Bob Rickard. Der Brite ist Gründer der Fortean Times, eines seit 1973 erscheinenden Magazins für unerklärbare Phänomene. Und er hat ein Buch geschrieben, in dem es auch um ungewöhnliche Regenfälle geht. „Nach 40 Jahren, die ich das Phänomen nun untersuche, gebe ich nicht mehr allzu viel auf die offizielle Erklärung, Wirbelwinde und Wasserhosen seien die Ursache“, sagt Rickard zu Wunderwelt Wissen. „Warum regnet es dann zum Beispiel Meerestiere weit im Binnenland? Und wie kann ein turbulentes System wie ein Tornado Objekte so genau selektieren und über große Distanzen transportieren und sie dabei so nahe beisammen halten, dass sie an einem kleinen Fleck herabregnen?“

 

Hinzu kommt: Es hat schon Regenfälle gegeben, zu denen selbst den besten Wetterexperten nichts mehr einfällt. So berichtete die britische Times am 1. Mai 1821, auf ein Haus in Truro in der Grafschaft Cornwall gingen seit Tagen Steine nieder: „Der Regen hält an, obwohl das Haus tagelang bewacht und der Fall durch den Bürgermeister, Soldaten und andere untersucht worden ist.“ Der Himmel über dem Haus war klar, die Herkunft der Steine ein Rätsel. Genauso bei der Berkbigler Familie in den USA. Im September des Jahres 1983 begann es, jeden Abend zwischen halb sechs und sieben Uhr Steine auf ihr neues Haus in Arizona zu regnen. Und es hörte wochenlang nicht auf. Auch zwei Zeitungsreporter, die am 4. Dezember zu Besuch kamen, wurden Zeuge. Die Polizei konnte selbst mit Hubschraubern keine Steinewerfer ausmachen. Dutzende Fälle von Steinregen wurden schon dokumentiert. Stürme oder auch Meteoriteneinschläge als Ursache konnten meist schon allein wegen ihrer Dauer ausgeschlossen werden.

 

Ebenfalls ungeklärt ist ein weiteres Regenphänomen, das in den letzten Jahren vermehrt für Aufregung sorgt: das der „Megacryometeore“. Dabei handelt es sich um riesige Eisbrocken, neben denen selbst die dicksten Hagelkörner aussehen wie Ping-Pong- neben Medizinbällen. So schlug etwa am 27 April 2010 morgens um 10.17 Uhr aus heiterem Himmel ein 50 Kilo schwerer Eisklotz in einem Vorgarten des Ortes Hettstadt bei Würzburg ein. Er verfehlte eine Kindergartengruppe und die Postbotin nur knapp, die Mauer des Gartens dagegen erlitt Totalschaden. Glück hatte auch ein 15-jähriges Mädchen im spanischen Toledo am 21. Juli 2004. Neben ihr knallte ein Brocken von fast 400 Kilogramm zu Boden – ebenfalls bei sonnigem Wetter. Fatal dagegen die Begegnung eines Zimmermanns in Düsseldorf mit einem Megacryometeor: Als der Handwerker am 10. Januar 1951 auf einem Hausdach arbeitete, wurde er von einem 15 Zentimeter dicken und zwei Meter langen Eisspeer durchbohrt.

 

Der Fall Hettstadt konnte gelöst werden: Der Eisklotz ließ sich einem Flugzeug zuordnen, das den Ort exakt zum fraglichen Zeitpunkt überflog. Es kommt angeblich vor, dass sich etwa an undichten Ventilen der Flugzeug-Außenhaut Eis bildet, das sich irgendwann mit einem Mal löst. Manche Experten meinen, alle Megacryometeore seien auf Flugzeuge zurückzuführen – auch weil die Bordtoiletten manchmal lecken.

 

Doch der spanische Planetologe Jesus Martinez-Frias vom Institut für Astrobiologie in Madrid, der das Phänomen seit über zehn Jahren untersucht, bestreitet dies: „Es gibt viele gut dokumentierte Fälle, die sich vor dem Zeitalter der Luftfahrt ereigneten.“ Zudem sei auch bei vielen neueren Einschlägen nachweislich kein Flugzeug vorbeigeflogen – den ganzen Tag nicht. Und die Zusammensetzung des Eises weise vielfach auf ganz normales Regenwasser hin. Was laut Martinez im Übrigen eine weitere Theorie ausschließt: „Kometen aus dem All weisen eine ganz andere Chemie auf.“

 

Martinez vermutet, dass Megacryometeore ein Wetterphänomen sind. Normale Hagelkörner, die maximal die Größe eines Tennisballs erreichen und ein Kilo wiegen, bilden sich in Gewitterwolken: Starke Aufwinde halten sie lange in der Schwebe, bis sie so viel Eis angesetzt haben, dass sie zu Boden fallen. Für die viel größeren Megacryometeore müsste es also noch stärkere Aufwinde geben – und das trotz fehlender Gewitterwolken. Martinez postuliert besondere Bedingungen mit hoher Luftfeuchte bei niedrigen Ozonwerten als Ursache für extreme Luftturbulenzen in der hohen Troposphäre – gibt letztlich aber zu, dass auch er noch keine rechte Erklärung hat. Denn unklar bleibt, warum die Meteore dann nur vereinzelt und nicht wie Hagel im Schwarm fallen. Sicher ist nur, dass es sie gibt.

 

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Wissenschaft für Regenfälle, die absurd erscheinen, erst viel später eine Erklärung findet. Das war bei den Fischen und den Tornados so – und übrigens auch bei den Kreuzen des Lycosthenes: „Früher hat man diesen Bericht als religiösen Wahn abgetan“, weiß Atmosphärenphysiker Nicolai Dotzek. „Doch in den späten 60er Jahren sind bei Oak Ridge in Tennessee kreuzförmige Hagelkörner von mehrere Zentimetern Größe gefallen.“ Es regnet also tatsächlich hin und wieder Kreuze vom Himmel – eben Hagelkörner einer besonderen Form. „Wie genau es zu dieser Form kommt“, sagt Dotzek, „wissen wir noch nicht genau. Es gibt nur die Vermutung, es könne mit elektrischen Feldern in der Wolke zu tun haben.“

Wunderwelt Wissen
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