Ein Teller voll Nichts

 

Wie soll man den Hunger in Afrika noch fotografieren ohne sich zu wiederholen? All die ausgezehrten Körper mit hervorstehenden Rippen; Kinder mit seltsam geblähten Bäuchen und Fliegen im Gesicht; traurige Blicke. Der niederländische Fotograf Chris de Bode hat schon unzählige eindrucksvolle Porträts von Hungernden aufgenommen, um die Welt aufzurütteln. Und er hat stets nach ungewohnten Perspektiven gesucht, um die Aufmerksamkeit anzufachen. Dieses Mal wollte er etwas ganz Neues probieren.

 

Auf die Idee brachte ihn das Ausrüstungsstück eines gestorbenen befreundeten Fotografen, das dieser ihm vermacht hatte: ein Lichtzelt. Dabei handelt es sich um ein einfaches, kubisches Miniaturzelt von nur 80 Zentimetern Kantenlänge, das sich dank flexibler Stangen mit ein paar Handgriffen entfaltet und quasi von selbst aufstellt. Darin lassen sich Objekte ohne Schatten fotografieren. „Ich dachte mir, wenn ich in dem Zelt einfach nur die Teller mit den spärlichen Mahlzeiten der Menschen ablichte, wären das eindrucksvolle Dokumente ihrer Situation“, sagt De Bode. „Und in gewisser Weise würde mein Freund in diesen Fotos weiterleben.“

 

Im Februar dieses Jahres reiste De Bode in den äußersten Norden Kameruns, eine gebeutelte Region, in der sich aktuell ein Flüchtlingsdrama abspielt, von dem die wenigsten Menschen wissen: Im benachbarten Norden Nigerias wütet die islamistische Terrororganisation Boko Haram, deren Kämpfer auch Nadelstich-Angriffe auf grenznahe Dörfer in Kamerun fahren oder dort Selbstmordattentate verüben. Einzelne Angriffe wurden zwar von der kamerunischen Armee zurückgeschlagen, aber insgesamt tut die weit im Süden sitzende Regierung nicht allzu viel für die entlegene Provinz. „Sie ist ein vergessener Ort“, sagt de Bode. „Darum sieht Boko Haram die Chance, dort Fuß zu fassen.“ Indem die Terroristen Angst und Schrecken verbreiten, wollen sie die Region südlich des Tschad-Sees destabilisieren, um dort einen Gottesstaat zu errichten – ähnlich wie der IS in der Grenzregion von Syrien und dem Irak. Millionen von Menschen aus Nigeria und den betroffenen Orten Nordkameruns sind auf der Flucht und suchen Sicherheit. „Sie haben meist nur ihre Kleider am Leib, keinerlei Geld und sind auf die enorme Hilfsbereitschaft der einheimischen Bevölkerung angewiesen“, sagt de Bode. Hilfsorganisationen bemühten sich, könnten aber nur einen Bruchteil der Bedürftigen erreichen.

 

So müssen sich die meisten Flüchtlinge mit nur einer Mahlzeit am Tag begnügen. De Bodes erstes Motiv war ein Teller mit rotem Hirsebrei auf grünem Mangoblättermus (siehe Bild rechts). „Ich war es gewohnt, Menschen abzulichten, und zehre normalerweise von der Beziehung, die ich zunächst zu ihnen aufbaue. Bei Speisen auf einem Teller fiel mir das naturgemäß etwas schwer. Aber der Hirsebrei hatte zufällig Löcher und Linien, die wie ein Smiley aussehen. Das erleichterte mir den Einstieg.“ De Bode traf auf viel Interesse an seinem Projekt: „Die Menschen schienen Hoffnung zu haben, dass meine Bilder ihre Situation verbessern. Außerdem fanden sie es kurios, dass da ein großer Weißer vor ihren Tellern niederkniete, um mit hochrotem Kopf und triefnass schwitzend ihr Essen von allen Seiten zu fotografieren.“

 

Eine Mahlzeit, die er beobachtete, fotografierte de Bode extra nicht. Dafür war er zu schockiert: „Als ich das Ortsschild an einem Haus ablichten wollte, sah ich davor einen alten Mann sitzen, der etwas aus einem Bündel aß. Als ich näher kam, erkannte ich, dass es eine Babywindel war.“ De Bode entschied, dass dieses Motiv für sein Projekt allzu verstörend war. „Aber die pure Verzweiflung der Menschen, die mir dieser Anblick vor Augen führte, werde ich nie mehr vergessen.“

National Geographic
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