Der Geheimcode der Tiere

Früher dachte man, Elefanten beherrschen Telepathie. Wie sonst war es erklärbar, dass sich verschiedene Grüppchen einer Herde, kilometerweit verstreut und ohne jeden Sichtkontakt, wie auf Kommando in Bewegung setzten, um gemeinsam zu wandern – obwohl nichts zu hören war, kein Trompeten, kein Trampeln, kein Mucks?

 

Erst Anfang der 80er Jahre kam die amerikanische Verhaltensforscherin Katy Payne dahinter. Sie beobachtete Elefanten im Zoo von Portland/Oregon, setzte sich einfach neben dem Gehege auf einen Stuhl – tagelang. Ab und an spürte Payne merkwürdige Vibrationen in der Luft. Ähnlich wie in der Kirche, wenn die ganz großen Pfeifen der Orgel in einem tiefem Bass dröhnen, der einem durch Mark und Bein geht.

 

Das brachte die Forscherin auf eine Idee: Sie machte Aufnahmen und spielte sie in zehnfachem Tempo ab – Töne klingen dadurch höher als sie sind. Tatsächlich war nun ein tiefes Grollen zu hören. Und Paynes Vermutung bestätigt: Die grauen Riesen verständigen sich per Infraschall – also in einer Frequenz, die für uns Menschen unhörbar tief ist. Elefanten in der Wildnis können solche Laute noch in sieben Kilometern Distanz wahrnehmen. Paynes Erkenntnis bildete einen Meilenstein der Elefantenforschung. Es stellte sich heraus,, dass Infraschall bei Dickhäutern die bevorzugte Form der Konversation darstellt. Inzwischen arbeiten Payne und einige Kollegen an einem Wörterbuch der Elefantensprache.

 

Die Kommunikation der Tierwelt ist voller Überraschungen. Vor allem in den letzten Jahren, weil die Forscher sie mit immer moderneren Aufnahmegeräten und Computerprogrammen analysieren – und bereits zum Teil in unsere Sprache übersetzen. So soll eine ganz neues, tieferes Verständnis der Tiere möglich werden. Nicht zuletzt auch, um verschiedene Arten besser zu schützen.

So zeigt sich, dass die Sprache der Tiere viel komplexer ist, als lange vermutet – erstaunliche Parallelen zum Menschen werden offenbar: Delfine geben einander Namen. Die Warnrufe von Präriehunden liefern differenzierte Informationen über den herannahenden Feind. Nachtigallen verwenden in ihrem Gesang eine rudimentäre Syntax. Und selbst das Muhen einer Kuh unterscheidet sich – je nachdem ob sie zum Beispiel Hunger hat oder gemolken werden will.

 

Wobei manche Arten auch andere Kanäle benutzen als die Stimme – in vielerlei Hinsicht unterscheidet sich die Sprache der Tiere eben doch von unserer. Das beste Beispiel dafür ist ein guter Bekannter des Menschen: der Hund. Jeder weiß, wie wichtig für ihn die Nase ist. „Der tägliche Spaziergang ist für Hunde das, was für uns Menschen Facebook ist“, sagt die Verhaltensbiologin Ariane Ullrich vom deutschen Berufsverbands der Hundeerzieher und Verhaltensberater. „Aus den Urinspuren anderer Hunde erschnüffeln sie, wer in letzter Zeit vorbeigekommen ist, wie gesund derjenige ist, in welchem Zyklus sich eine Hündin befindet und wie 'männlich' ein Rüde ist.“

 

Andere Tiere sprechen mit der Farbe ihres Körpers. Chamäleons etwa, oder Sepien – eine Ordnung der Tintenfische. Begleitet eine männliche Sepia ein Weibchen, und andere Männchen sind anwesend, wird es richtig bunt: Während das Tier zur Seite des Weibchens die typische Farbmusterung eines Männchens behält, zeigt es zur anderen Seite, wo die Konkurrenz herübergafft, ein Weibchen-Muster. So vermeidet er, dass ihm jemand seine Eroberung streitig macht.

 

Manche Tiere verständigen sich sogar über seismische Signale, also Erschütterungen. Nicht zuletzt die Elefanten mit ihrem Infraschall, der auch den Boden vibrieren lässt. Wenn ein anderer Elefant genau hinhören will, hebt er ein Vorderbein, um das andere fester auf den Boden zu stemmen und so den Empfang per pedes zu verbessern.Die wohl größte Faszination aber geht von Tieren aus, die in der Lage sind, wie Menschen zu sprechen. Bei Walen und Seehunden haben Studien ergeben, dass ihre Stimmapparate sie befähigen, unsere Laute nachzuahmen – als einzige Arten unter den Säugetieren. Und tatsächlich nutzen sie diese Gabe: Bekannt wurde ein Belugawal im Aquarium von San Diego (USA), der „Lalala“ sang wie ein Mensch beim Anstimmen einer Melodie. Oder der Seehund Hoover, der nach vielen Jahren in Obhut eines Fischers Phrasen drosch wie ein betrunkener Seemann: „Hello there!“ (Hallöchen!), „Whaddaya doin’?“ (Was machst Du?) und „Get outta here!“ (Raus hier!) pöbelte er Besucher im Aquarium von Boston an, wo er später lebte.

 

Besonders bekannt für ihre Imitationskunst sind Vögel. Nicht nur, dass Singvögel in städtischen Parks die Klingeltöne von Handys in ihr Gesangsrepertoire aufnehmen. Manche Arten können scheinbar tatsächlich sprechen wie ein Mensch. Am berühmtesten war der Graupapagei Alex, der 2007 starb. Im Laufe der gut 30 Jahre, die er mit der US-Tierpsychologin Irene Pepperberg verbrachte, lernte er nicht weniger als 500 Wörter zu verstehen und 200 selbst zu sprechen. Vor allem aber lernte er, etwa ein grünes Dreieck aus Papier von einem gelben Wollquadrat zu unterscheiden und diese zu benennen – obwohl er sie zuvor nie gesehen hatte. „Er konnte mit Worten neue Sinnzusammenhänge bilden und gezielt nach bestimmten Gegenständen wie Bananen fragen, was natürlich von besonderer Intelligenz zeugt“, sagt der Vogelexperte Uwe Westphal, Deutschlands bekanntester Imitator von Tierstimmen.

 

Dennoch werfen viele Linguisten ein, das Imitieren menschlicher Sprache sei am Ende doch eher eine Frage der Übung, bei der es den Tieren zumal in Fällen wie Alex vor allem um eins ginge: die Belohnung. Sie kreieren nicht beliebig viele neue Wörter, bilden keine Sätze und schon gar nicht von sich aus, meint etwa der weltbekannte Linguist Noam Chomsky. Und das gelte genauso, wenn Tiere sich in ihrer eigenen Sprache bewegen: „Ihre Kommunikationssysteme unterscheiden sich von menschlicher Sprache in so ziemlich allen Dimensionen.“

 

Nicht alle Verhaltensforscher jedoch folgen dieser Meinung. Der amerikanische Bioakustiker Michael Coen hat Weißhandgibbons belauscht und 27 verschiedene Grundlaute identifiziert, aus denen sich alle Äußerungen dieser Affen zusammensetzen. Also das, was man bei Menschen „Phoneme“ nennen würde – die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Sprache. Ein „klarer Hinweis“, so Coen, dass viele Tiere ähnliche linguistische Strukturen haben wie Menschen. „Sprache ist womöglich viel weiter verbreitet, als Linguisten glauben.“

 

Gestützt wird diese Annahme durch weitere Studien weltweit. Bei Großen Weißnasenmeerkatzen und Campbellmeerkatzen – beides ebenfalls Affenarten – haben Forscher entdeckt, dass sie Laute, die für sich genommen eine bestimmte Bedeutung haben, zu einer Sequenz kombinieren, die dann eine andere Bedeutung hat.

 

Und selbst in dem so hübschen Gesang von Nachtigallen finden sich Ansätze für einen geregelten Satzbau. Seit über zehn Jahren geht die Verhaltensbiologin Silke Kipper von der Freien Universität Berlin mitten in der deutschen Hauptstadt der Frage nach, warum Nachtigallen bis zu 260 verschieden Strophen singen – während andere Singvögel wie der Buchfink mit einer bis fünf auskommen. Die Antwort ist noch nicht gefunden.

 

Klar jedoch ist bereits, dass die Tiere ihre Strophen nicht beliebig kombinieren, sondern gezielt – was darauf hindeutet, dass die Reihenfolge bzw. deren Variabilität Informationen birgt. „Wir haben herausgefunden“, so Silke Kipper, „dass ältere Männchen geordneter singen als jüngere, die Reihenfolge ihrer Strophen ist regelhafter.“ Man könne also sagen, dass ihre Satzkonstruktionen ausgefeilter sind. Jedenfalls macht das Eindruck bei den Weibchen. Sie bevorzugen ältere Partner, die entsprechend singen können.

 

Eine andere Lautkategorie ist die Namensgebung. Hier haben Forscher zuletzt bei Delfinen Interessantes herausgefunden. Zum Einen zeigten Analysen ihrer Pfeiftöne, dass sie einander Namen geben – also Pfiffe, die bestimmten Delfinen als Identifizierung zugeordnet sind. Es wurden sogar Delfine belauscht, als sie sich über Dritte unterhielten, die gar nicht anwesend waren. Doch damit nicht genug: Meeresbiologen um Denise Herzing vom Wild Dolphin Project in Florida versuchen sogar, Delfinen mit Unterwasserlautsprechern neue Begriffe beizubringen – also Pfeiftöne, die außerhalb ihres natürlichen Repertoires liegen, ihnen aber möglich sind. Die Delfine lernen nun quasi die Worte „Seegras“, „Seil“ und „Schal“ – ihre liebsten Spielzeuge im Umgang mit den tauchenden Forschern –, nur eben in ihrer Sprache. Ein Computer meldet, falls ein Delfin einen dieser neuen Pfeiftöne verwendet. Und tatsächlich: Zumindest einmal hat ein Delfin bereits den Pfiff für „Seegras“ hören lassen. Ob er damit bewusst „Seegras“ sagen wollte, muss sich allerdings erst noch herausstellen.

 

Selbst über Artgrenzen hinweg können Tiere sich verständigen. Von vielen Spezies weiß man inzwischen, dass ihre Warnungen vor Feinden auch von anderen Tierarten verstanden werden. Es gibt sogar spezifische Rufe für Luft- und Bodenangriffe, oft wird zudem die Tierart unterschieden.

 

„Wenn eine Katze durch den Wald schleicht“, berichtet Uwe Westphal, „pflanzt der Alarm sich durch den ganzen Wald fort. Erst ruft vielleicht die Amsel, dann der Zaunkönig, als nächstes die Mönchsgrasmücke und der Eichelhäher. Und auch die Rehe verdrücken sich, weil sie wissen: Da ist was los.“ Ein befreundeter Vogelexperte habe in seinem Garten festgestellt, dass die Vögel sogar unterschiedlich warnen, je nachdem welche seiner drei Katzen unterwegs ist: die Harmlose, die sich an Dosenfutter hält, die etwas gefährlichere, die auch Vögeln hinterhersteigt, oder das „Monster“, das besonders gut jagen kann. Ganz offensichtlich werden also neuen Situationen auch neue Laute zugeordnet. Warnen ist demnach nicht nur ein Reflex, wie man früher meinte. Die Lautäußerungen sind nicht nur Instinkt. „Das erkennt man schon allein daran“, so Westphal, „dass Singvögel ihren artspezifischen Gesang erst erlernen müssen.“

 

Ähnliches fand der russischstämmige US-Biologe Con Slobodchikoff bei Präriehunden in Nordamerika heraus: „Mit einem einzigen Pfiff können diese Tiere ausdrücken, welcher Feind da gerade aus welcher Richtung kommt. Sie können einen Menschen beschreiben, welche Größe und Statur er hat, welche Farbe seine Jacke. Ja selbst, ob er schon einmal da war und ein Gewehr dabei hatte!“ All diese Informationen packen Präriehunde in die Obertöne ihres Pfiffs, wie Slobodchikoff durch präzise Computeranalysen herausgefunden hat. Sein Team hat sogar ein Übersetzungsgerät entwickelt, das alle Lautkomponenten blitzschnell überprüft und anzeigt, was der Präriehund gerade pfeift. Und auch umgekehrt übersetzt das Gerät entsprechende Worte des Menschen in Pfiffe.

 

Slobodchikoff rechnet damit, dass es in fünf bis zehn Jahren Handy-Apps geben wird, die solche Übersetzungsdienste leisten. Zwar sind bereits elektronische Übersetzer für Hunde und andere Haustiere im Handel. Richtig funktionieren tun die allerdings nicht. Kein Wunder, wenn ein Tier sich vor allem über Gerüche und Körpersprache ausdrückt (siehe Kasten).

 

Bei Kühen jedoch könnte ein solches Gerät Sinn machen: Der deutsche Bioakustiker Gerhard Jahns, einst angestellt bei der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig, hat zehn spezifische Kuh-Laute identifiziert, die er in ein computergestütztes System gespeist hat. Das System kann dem Bauern melden, wenn eine Kuh Hunger hat, wenn sie gemolken werden will, empfangsbereit oder krank ist. In all diesen Situationen gibt die Kuh nämlich einen ganz eigenes „Muh“ von sich, das sich von anderen etwa bezüglich Länge, Tonlage und Frequenz unterscheidet. Noch ist das System nicht zuverlässig genug für den Einsatz im Stall, aber Jahns arbeitet daran.

P.M. Magazin
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