Trainer unter Beschuss
Ausflippen wie Jürgen Klopp und Giovanni Trapattoni oder cool bleiben wie José Morinho? Keiner ist im Leistungssport dem Druck der Medien und den Erwartungen der anderen so ausgesetzt wie der Trainer. Was braucht ein Coach, um dabei nicht zusammenzubrechen?
„Was erlaube Strunz?!“ Giovanni Trapattonis Wutrede ist legendär: Bei einer Pressekonferenz am 10. März 1998 rastete der damalige Trainer des 1. FC Bayern München aus. Die dritte Bundesliga-Niederlage in Folge, die Meisterschaft quasi verspielt. Spieler hatten sich beschwert, dass sie nicht aufgestellt worden waren. Die Medien prangerten die defensive Spielstrategie des Bayern-Trainers an. Und dann platzte ein Ventil: In einem zornigen Wortschwall aus gebrochenem Deutsch brachen Ärger, Druck und Frustration aus dem Italiener heraus. „Ein Trainer is nich ein Idiot“, schrie er sich in Rage. Und: „In diese Spiel, es waren zwei, drei: Diese Spieler waren schwach wie eine Flasche leer!“
So einzigartig Trapattonis Auftritt war – so typisch ist doch die Anspannung dahinter für den Berufsstand Leistungssport-Trainer. Aufgabe des Trainers ist es, die Mannschaft oder auch den einzelnen Sportler in Topform zu bringen. Geht das daneben, wird der Coach zum Sündenbock. Oder wie es Bundestrainer Joachim Löw im Mai 2014 gegenüber der Zeitschrift Stern ausdrückte: „Nach Siegen wirst du als Messias gefeiert, du bist der Heilsbringer für das ganze Volk. Einen Tag später, wenn du ein Spiel verlierst, bist du der Staatsfeind Nummer eins.“
So einzigartig Trapattonis Auftritt war – so typisch ist doch die Anspannung dahinter für den Berufsstand Leistungssport-Trainer. Aufgabe des Trainers ist es, die Mannschaft oder auch den einzelnen Sportler in Topform zu bringen. Geht das daneben, wird der Coach zum Sündenbock. Oder wie es Bundestrainer Joachim Löw im Mai 2014 gegenüber der Zeitschrift Stern ausdrückte: „Nach Siegen wirst du als Messias gefeiert, du bist der Heilsbringer für das ganze Volk. Einen Tag später, wenn du ein Spiel verlierst, bist du der Staatsfeind Nummer eins.“
Der Sportpsychologe Moritz Anderten weiß, wovon Löw redet. Anderten koordiniert unter anderem an der Deutschen Sporthochschule Köln das Projekt mentaltalent, das sich der sportpsychologischen Betreuung von Nachwuchssportlern in Nordrhein-Westfalen widmet. Und er arbeitet selbst mit Athleten und Trainern diverser Sportarten. „Am Ende des Tages wird der Trainer am Erfolg seiner Mannschaft gemessen“, sagt er. Bei anhaltender Erfolglosigkeit geht oftmals der Coach – nicht die Sportler. Aus Sicht der Vereine gar nicht so verwunderlich, meint Anderten: „Wenn der Erfolg ausbleibt, muss der Verein etwas im System ändern, um wieder eine neue Dynamik zu initiieren.“ Nimmt man – etwa beim Fußball – für das System die drei Komponenten Spieler, Trainer und Management an, so ist der Trainer die Variable, die sich während der laufenden Saison am einfachsten austauschen lässt. „Manchmal führt das sogar zum gewünschten Ergebnis, aber der Vorstand sollte diese Entscheidung nicht gegen den Willen der Mannschaft durchsetzen.“
Eine Position auf dem Schleudersitz: Dadurch entsteht für den Coach ein enormer persönlicher und mitunter existenzieller Druck. „Trainer im olympischen Spitzensport sind zum Beispiel oft so spezialisiert, dass sie nach einem Rausschmiss nur wenige Alternativen haben“, so Anderten. Und auch ein gescheiterter Trainer der Fußball-Bundesliga ist in der Regel darauf angewiesen, dass ihm ein anderer Verein oder Verband das Vertrauen schenkt. Vom Gefühl des persönlichen Versagens, und davon, für den Misserfolg öffentlich an den Pranger gestellt zu werden, ganz zu schweigen.
Spiel zwischen den Fronten
Dazu kommt: Der Trainer agiert in der Pufferzone – zwischen Spielern und Management, zwischen Fans und Mannschaft, zwischen Medien und Verein. Die Sportler etwa haben Erwartungen an ihren Trainer, daran, wie er sie zum Erfolg führen soll, und wer wie oft zum Einsatz kommt. „So lange die Mannschaft Erfolg hat, wird das Konzept des Trainers angenommen, dann nimmt es ein einzelner Spieler auch hin, öfter auf der Bank sitzen zu müssen“, sagt Anderten. „Bei Misserfolgen bahnt sich die Unzufriedenheit ihren Weg. Die Spieler beginnen zu meutern. Im schlimmsten Fall droht das Team auseinanderzubrechen.“ Kommt dann noch der Druck des Managements dazu, die Enttäuschung der Fans und die Häme der Medien, dann wird der Trainer leicht zum Spielball der Emotionen anderer. Und genau hier lauert die größte Gefahr: Burnout.
„Neben fehlender Erholung ist Unzufriedenheit die wichtigste Variable für Burnout“, sagt der Psychologe Sebastian Altfeld von der Ruhr-Universität Bochum. Er erfasst derzeit die Situation von mehr als 700 deutschen Trainern – sowohl von Profis als auch von nebenberuflich oder ehrenamtlich arbeitenden Coaches. Die (ersten) Daten sind noch nicht veröffentlicht, aber soviel kann er jetzt schon verraten: Der am häufigsten genannte Stressor, der für Unzufriedenheit sorgt, ist eine gestörte Kommunikation – zwischen Sportler und Trainer, aber auch zwischen Trainer und Management. „Das zeigt, wie wichtig Kommunikation und Konfliktmanagement für Trainer sind, und genau das kommt in der Trainerausbildung bei uns bislang leider viel zu kurz“, betont Altfeld.
Umgekehrt stört die Erschöpfung des Trainers den Draht zur Mannschaft. Das spiegelt sich in einer Reihe von Studien der letzten Jahre wider, die vorwiegend mit Trainern von College-Mannschaften durchgeführt wurden. So hatten US-amerikanische Sportpsychologen bereits im Jahr 1998 beschrieben, dass Trainer, die auf einen Burnout zusteuerten, weniger Empathie gegenüber ihren Athleten zeigten. Im Jahr 2000 legten Forscher der University of Virginia nach: Ausgebrannte Trainer haben Probleme, die Strukturen innerhalb eines Teams aufrecht zu erhalten.
Hauptfaktor für das Burnout-Syndrom bleiben aber Überlastung und Erschöpfung. Echte Erhohlungsphasen kommen im Traineralltag oftmals zu kurz. „Das fängt schon im Jugend-Leistungsbereich an, wo zum regelmäßigen Training noch Wettkampfbetreuung und jede Menge Dokumentation hinzu kommen“, sagt Altfeld. „Von einem Bundesliga-Trainer wird sogar erwartet, dass er sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, für die Mannschaft da ist. Nehmen Sie nur das Beispiel von Thorsten Fink.“ Der ehemalige HSV-Trainer war im September 2013 nach einer schmählichen Niederlage in Dortmund zu seiner Familie nach München geflogen und fiel damit bei seinem angeschlagenen Verein endgültig in Ungnade. Der Rauswurf folgte auf dem Fuß.
Solch eine Dauerbelastung mag auch dazu geführt haben, dass Bundesliga-Coach Ralf Rangnick am 22. September 2011 seinen Rücktritt als Trainer von FC Schalke 04 bekannt gab – und sich damit als erster seiner Zunft zum Burnout bekannte. Rangnicks Begründung damals: „Mein derzeitiges Energielevel reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein und insbesondere die Mannschaft und den Verein in ihrer sportlichen Leistung voranzubringen.“
Ausbruch statt Zusammenbruch
Ob ein Trainer unter der Belastung eher zusammenbricht, oder ob der Druck zum verbalen Vulkanausbruch führt wie einst bei Trapattoni, oder ob der Coach sogar trotz allem einen kühlen Kopf behalten kann: Das ist wohl Typ-Sache. Das fanden britische Forscher jetzt heraus. Andrew P. Hill und Paul A. Davis hatten 238 Trainer aus verschiedenen Sportarten zur Emotionskontrolle befragt. Dabei stellte sich heraus: Wer zwar hohe Erwartungen an sich selbst stellt, den Druck von außen aber gut bewältigen kann, der rastet seltener aus. Ist der eigene Perfektionismus eher von der Angst getrieben, die Erwartung anderer nicht zu erfüllen, kommt es häufiger zur emotionalen Eruption.
Wenn aber – um ein aktuelleres Beispiel zu nennen – ein Jürgen Klopp nicht nur am Spielfeldrand austickt, sondern auch bei Medienauftritten immer öfter den Choleriker gibt, dann dürfte er nicht nur seinem eigenen Image schaden: Er kann damit auch die Mannschaft gefährden. „Es stellt sich irgendwann die Frage, wie kompetent die Spieler ihren Trainer erleben“, erklärt Moritz Anderten. „Verliert er zu häufig die Kontrolle, verliert er möglicherweise auch das Vertrauen der Spieler.“ Ausrasten wird nämlich mitunter als Ausdruck von Unsicherheit wahrgenommen: Der Trainer ist dem Druck nicht mehr gewachsen und glaubt vielleicht selbst nicht mehr an den Erfolg. Und erleben Athleten ihren Trainer immer wieder schwach, können sich Zweifel einschleichen, ob der das sportliche Geschehen noch im Griff hat und seiner Aufgabe überhaupt noch gewachsen ist. Das kann schließlich die Leistungsfähigkeit der Mannschaft untergraben. Richten sich die verbalen Attacken sogar noch gegen das Team – was bei Jürgen Klopp und Borussia Dortmund nicht der Fall ist – kommt es zum mentalen Knick: Das Vertrauen schwindet.
„Im Leistungssport muss man lernen, Emotionen schnell zu kanalisieren, zu verarbeiten und zu rationalisieren – das gilt für Athleten wie für Trainer“, sagt der Sportpsychologe Anderten. Hilfreich gegen die Dauerbelastung und Anspannung sind Bewältigungsstrategien und Stressmanagement. Durch das Korrigieren der eigenen Erwartungshaltung etwa. Oder durch Reframing, einer Technik, die dazu dient, Dinge umzubewerten – und so den Druck rauszunehmen. Es gilt, sich zu fragen: Was geht verloren? Das Spiel? Die Meisterschaft? Oder geht es um ein Menschenleben? Der portugiesische Chelsea-Trainer José Mourinho löste dies meisterhaft, als er im Interview sagte: „Druck? Welcher Druck? Druck ist, wenn arme Menschen sich dumm und dämlich arbeiten, um ihre Familie ernähren zu können. Im Fußball gibt es keinen Druck.“ (Link zum Video auf Youtube)
Solche Strategien zu entwickeln und Trainer wie Sportler emotional zu stärken, ist Aufgabe der Sportpsychologie. „In Deutschland setzt sich dieses Thema im Leistungssport immer mehr durch, auch für Trainer“, so Anderten von der Sporthochschule Köln. Bekommt ein Team sportpsychologische Betreuung, so dient das dem Coach ebenfalls. „Ich bin der festen Überzeugung, dass Hans-Dieter Hermann, der Sportpsychologe der Fußball-Nationalmannschaft, auch oder gerade mit dem Trainerteam arbeitet“, sagt Anderten. „Auch bei Fragen, wie man zum Beispiel die Nominierung der Nationalmannschaft intern vorbereitet und öffentlich gegen vermeintliche Widersprüche präsentiert.“
Jogi Löw wirkt im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 jedenfalls gut gewappnet. Und er sagt von sich, er habe gelernt, sich zu entspannen. Das möchte man ihm wünschen. Und gleichzeitig die Daumen drücken. Damit er als „Heilsbringer“ von der WM Brasilien zurückfliegen darf und nicht als Staatsfeind. In diesem Sinne: „Ich habe fertig.“